Zeitzeugen 2024/2025
Erinnern und Verantwortung: Zeitzeugin Tova Friedman berichtet
"Ich liebe Schüler*innen im Highschool- Alter! Ihr habt die Chance, etwas aus eurem Leben zu machen." Mit dieser Begrüßung begann Tova Friedman ihren Vortrag. Geboren in Polen 1938, wurde sie als kleines Kind mit ihrer Familie von den Nazis in das Ghetto ihrer Heimatstadt Tomaszów Mazowiecki gezwungen. Von den vielen Kindern im Ghetto überlebten nur vier – sie war die jüngste.
Im Ghetto erlebte sie willkürliche Ermordungen, darunter die Erschießung ihrer Großeltern. Die ständige Angst vor dem Tod war allgegenwärtig. Immer wieder betont sie: „ Mit drei Jahren habe ich gelernt, Juden müssen sterbe. Ich habe jeden Tag damit gerechnet zu sterben.“
Nach der Einrichtung des Konzentrationslagers Auschwitz wurde das Ghetto aufgelöst, und sie wurde mit ihrer Mutter dorthin deportiert – als einziges Kind in ihrem Transport.
36 Stunden dauerte die Fahrt in einem überfüllten Viehwagon, ohne Nahrung, Wasser oder sanitäre Einrichtungen. In Auschwitz angekommen, fiel ihr sofort der beißende Geruch auf. "Meine Mutter hat mich nie angelogen", berichtete sie. "Sie zeigte auf den Rauch und sagte: Dort werden all die vielen Toten verbrannt."
Da ihre Mutter arbeiten musste, war Tova oft auf sich allein gestellt. Sie erinnerte sich an den Moment, als ihre Mutter sie eines Tages in einem kleinen Raum versteckte – später erfuhr sie, dass an diesem Tag alle Kinder ermordet worden waren. "Töten war normal", wiederholte sie wieder. Besonders in Erinnerung sind ihr die Appelle, die manchmal stundenlang dauerten– eine Qual für ein kleines Kind. Oft wurde sie geschlagen, weil sie nicht stillstehen konnte. Schließlich erkrankte sie und wurde von ihrer Mutter getrennt. In einer Baracke nur mit Kindern wartete sie täglich darauf, in die Gaskammer geschickt zu werden.
Ein Wunder geschah, als ihre Kindergruppe in die Gaskammer geführt wurde. "Wir mussten uns ausziehen, es hieß, wir würden duschen. Doch wir wussten: Wir sollten sterben." Doch aus unbekannten Gründen blieb die Tür verschlossen. Sie erinnert sie noch genau an die Kälte und an das Weinen an der andern Kindern. Bis heute weiß sie nicht, warum sie überlebte.
Als die Rote Armee im Januar 1945 Auschwitz näherkam, begannen die Nazis, das Lager zu räumen. Viele wurden auf Todesmärsche geschickt, andere vor Ort ermordet. Tovas Mutter beschloss, sich mit ihr im Krankenlager unter Toten zu verstecken – ein fast unmögliches Unterfangen für ein sechsjähriges Kind. Doch es gelang. Am nächsten Tag, dem 27.1.1945, befreiten die Russen Auschwitz.
Doch was war das für eine Freiheit? Von 150 Familienmitgliedern hatte nur ihre kleine Kernfamilie überlebt. Ohne Heimat, ohne Freunde und ohne Geld gelang ihnen später mit Hilfe eines entfernten Cousins die Einreise in die USA.
Für Tova Friedman ist ihre tätowierte Nummer nicht nur Erinnerung, sondern Verpflichtung. "Ich muss sprechen für die anderthalb Millionen jüdischen Kindern, die ermordet wurden. Sie können nicht mehr sprechen. Also spreche ich für sie." Aber der Holocaust ist für sie nicht nur Geschichte. Sie warnt eindringlich vor Hass und Ausgrenzungen, die aktuell weltweit immer größer werden: "Wenn Menschen beginnen, andere nach Hautfarbe, Religion oder politischer Meinung zu unterscheiden, beginnt das Unrecht. Wir sind keine Feinde – wir haben mehr gemeinsam, als uns trennt."
Ihre letzten Worte an uns waren ein klarer Auftrag: "Wenn ich nicht mehr da bin, seid ihr meine Erinnerung. Wenn jemand den Holocaust leugnet oder die Nazis verharmlost, müsst ihr widersprechen. Ihr habt die Verantwortung, die Welt ein Stück besser zu machen."
Eine Botschaft, die wir niemals vergessen dürfen.
Wer mehr über Tova Friedman erfahren möchte: sie hat mit ihrem Enkel einen sehr erfolgreichen TikTok Kanal. Dort können direkt Fragen gestellt werden! Holocaust-Überlebende auf TikTok: Oma und Enkel gegen das Vergessen | NDR.de - Kultur
Aml